Jahresrückblick für Oldenburg und Umzu: Stets auf Abstand zu Antisemitismus und autoritären Persönlichkeiten

2020 neigt sich dem Ende zu und wir wollen die Zeit nutzen, um skizzenhaft zu rekapitulieren, was dieses Corona-Jahr aus antifaschistischer Perspektive in und um Oldenburg ausgemacht hat.


Seit der ersten sogenannten „Menschenwürde Demo“ in Oldenburg am 25.04.2020 ist viel passiert. Von den Teilnehmer*innenzahlen von bis zu 300 Personen zu Höchstzeiten, sind wir, dank äußerst konsequentem Antifa-Protest seit der ersten Stunde, mittlerweile weit entfernt und aktuell sieht es nicht danach aus, als ob sich die Corona-Rechten allzu schnell wieder aufrappeln könnten.

Dennoch lohnt es sich, einen kleinen Blick auf die allgemeine Entwicklung der Verschwörungsproteste in Oldenburg und dem Rest von Deutschland zu werfen, erste Zwischenfazits zu ziehen und einen vorsichtigen Blick auf das kommende Jahr zu werfen.

Die De Bruins und die Freund*innen autoritärer Formierungen

Als am 01.04.2020 Friederike Pfeiffer-de Bruin mit ihrem „Offenen Brief an die Politik und die Presse“ unseren ganz persönlichen Preis für den schlechtesten Aprilscherz des Jahres ergatterte, viel der informelle Startschuss für Antisemit*innen in Oldenburg und umzu, sich über verschiedenste Facebook- und Telegram Gruppen, oder bei „Spaziergängen fürs Grundgesetz“ zu organisieren, insofern sie nicht vorher bereits aktiv waren (siehe Montagsmahnwachen, „Gelbwesten“, OLGIDA etc.).

Schnell viel auf, dass die von den Protestierenden verbreiteten Inhalte stets auf Verschwörungserzählungen basierten und das Leitmotiv – die „Wiederherstellung“ des Grundgesetzes – die „Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners“ verkörperte.

Die antisemitischen Verschwörungserzählungen, das inhaltsarme „Open Mic“-Konzept, die plakative Speichelleckerei gegenüber der Polizei und der unbedingte Wille, sich nicht von Holocaustleugner*innen und Neonazis abzugrenzen, sorgte auf den „Menschenwürde“-Kundgebungen dafür, dass sich zusehends eine generelle Affinität für Deutschtümelei und Vernichtungsbestrebungen bildete – und das trotz den von den De Bruin-Schwestern initiierten Tanzeinlagen.

Dies sprach dafür, dass es sich bei der sich formierenden Straßenbewegung (damals noch als ‚Hygieneproteste‘ bezeichnet) um ein weiteres Symptom bürgerlicher Vergesellschaftung und Deutscher Ideologie handelte.

Tatsächlich sind sich „Querdenken“, „Pegida“, „HogeSa“, die „Friedensdemos“, AfD und Sarrazin ähnlicher, als sich auf den ersten Blick vermuten lässt.

Antifa bleibt Arbeit

Dank der nahtlosen antifaschistischen Recherche ergab sich uns ein Bild, welches dem der „Friedensmahnwachen“ stark ähnelte, doch dieses Mal war die Krise für privilegierte Kleinbürger*innen greifbarer und somit fiel die Beteiligung erschreckend groß aus.

Ein großer Dank geht deshalb raus an alle Genoss*innen, Gruppen und Bündnisse, die Gegenprotest und eine linksradikale Kritik der Verhältnisse möglich gemacht haben und sich nicht einschüchtern ließen von Luise de Bruins Feindeslisten oder Friederikes „Rockerbanden“-Drohung.

Antifaschistische Arbeit frisst viel Zeit und Ressourcen.

Dass die Verschwörungsgläubigen als eine potentiell faschistische Bewegung 2020 enormen Zulauf erfuhren, wundert uns nicht, dennoch möchten wir anerkennen, dass unzählige Genoss*innen tagtäglich die notwendige Arbeit leisten, um diesen Entwicklungen Einhalt zu gebieten.

Die Aktionen gegen die Corona-Rechten haben außerdem die Polizei in Oldenurg des öfteren dazu veranlasst, Gewalt gegen Antifas auszuüben, wie zum Beispiel am 05.07.2020, als die Cops der BFE Oldenburg mehrere friedliche Genoss*innen angriffen, um dem „Trommelmarsch“ von „Querdenken441“ die Straße freizuprügeln.

Foto: OAT

Beleidigungen seitens der Polizei, Personalienaufnahmen, Platzverweise und lächerliche Anzeigen, stundenlange Schikane und ungerechtfertigter Freiheitsentzug in Kesseln oder der GeSa etc. sind polizeiliche Maßnahmen, die für viele Genoss*innen im Jahr 2020 ein trauriger Dauerbrenner waren.

Wir möchten uns an dieser Stelle mit allen Betroffenen solidarisieren.

Ein großer Dank geht deshalb auch an die Rechtshilfe und die Rote Hilfe Oldenburg.

Konformistische Rebell*innen können auch mal Pause machen

Nach und während der von Pfeiffer-de Bruin initiierten „Sommerpause“ der Corona-Rechten in Oldenburg, wurde ersichtlich, dass selbige sich inzwischen in den bundesweiten „Querdenken“-Strukturen gut vernetzt und hochgearbeitet hatte.

Die Eine Konsequenz davon war vor allem, dass sich ihre Anwesenheit bei Oldenburger „Querdenken“-Aktionen ausdünnte und neue Akteur*innen wie Luise „Isi“ de Bruin, Anke Wolff, Paul de Vries oder Olaf Kastner auf den Plan und vermehrt in den Vordergrund traten.

Außerdem entwickelte sich „Querdenken“ in der Zwischenzeit zu einer auch in der bürgerlichen Öffentlichkeit stärker wahrgenommenen „Marke“, was aber wenig daran änderte, dass die absurden Protestaktionen der Corona-Rechten, die insbesondere bei Großdemos in Berlin, Stuttgart, München oder Leipzig wahre Superspreader-Events waren, auf allzu wenig Widerspruch stießen.

Schwurbel ohne Punkt und Komma

Foto: Nutshell Fotografie

Doch mit dem Herbst wurde die Corona-Lage wieder angespannter und entgegen der heimlichen Hoffnung, „Querdenken441“ würde nach der „Sommerpause“ nicht mehr mobilisierungsfähig sein, nahm die Beteiligung an den Schwurbelveranstaltungen nicht großartig ab.

Stattdessen profitierten die Corona-Rechten vorerst noch von ihrer Vernetzung und so bildeten sich weitere Gruppen wie die „Freiheitsboten“ oder „Eltern stehen auf“ und erhöhten den Turnus von Aktionen und Veranstaltungen.

Auch formierte sich erst kürzlich eine Regionalgruppe der sog. „Schwarzen Wahrheiten“, eine Propaganda Kampagne aus „Querdenken“ Kontexten, die bis jetzt aber sehr wenig Anklang gefunden hat und bis jetzt nicht in der Lage war, Veranstaltungen umzusetzen.

Ein deutsches Trauerspiel, welches nur schwer zu ertragen war/ist.

Die Frequenz von NS-Vergleichen, Relativierung der Shoa und plumpem Antisemitismus, Sexismus und Rassismus ist nach wie vor beachtlich, beziehungsweise nahm mit dem Zurücktreten der ersten „Generation“ (wie zum Beispiel Friederike) noch weiter zu.

Sich diesbezüglich nur an „Jana aus Kassel“ abzuarbeiten, reicht also nicht aus.

Mittlerweile hat die Mobilisierungsfähigkeit der Schwurbler*innen in Oldenburg – Antifa sei Dank – stark nachgelassen und auch bundesweit gehen die Teilnehmer*innenzahlen aktuell(!) allmählich zurück.

Auch die aktivistische Dauerbelastung ohne erkennbare Fortschritte tat ihr Übriges daran, die Mobilisierung der Schwurbler*innen abzuschwächen.

Deutsche Tradition bricht Vernunft

An dieser Stelle wollen wir kurz einschieben, weshalb wir der Meinung sind, dass „Querdenken“, „Pegida“, „HogeSa“, die „Friedensdemos“, AfD und Co. unterschiedlich ausgeführte Symptome des gleichen Mechanismus darstellen.

Die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Vorstellungen der genannten Bewegungen ähneln sich weitgehend.

Ausgangspunkt ist dabei ein formloses Unbehagen, welches überwiegend aus sozialen Abstiegsängsten und narzistischen Kränkungen durch ökonomische Zwänge resultiert.

Die schwer fassbaren und komplizierten Wirkungszusammenhänge kapitalistischer Vergesellschaftung und die sozioökonomischen Widersprüche befördern das Bedürfnis, „Sündenböcke“ zu konstruieren, die für die eigene Ohnmacht zur Rechenschaft gezogen werden können und einen bekömmlichen – aber falschen und somit hinfälligen – Erklärungsansatz für das Erfahrene bieten.

Dabei beziehen sich die Wutbürger*innen positiv auf die ideologischen Fragmente der „Ursprünglichkeit“, der „Rückkehr zu den Wurzeln“ und zum „Volk“, welches Entfremdung und Vereinzelung gewaltsam aufzulösen versucht.

Alle Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft werden als „schwach“ oder „zersetzend“ verklärt.

Feminismus, Antirassismus und Antifaschismus gelten als „kulturmarxistische“ Strategien, um die Gesellschaft zu verweichlichen und das „Volk“ zu zerstören und hinter all dem wird nicht die Totalität des Kapitalismus, sondern das internationale Judentum vermutet. Bereits bei diesem Schritt wird die Notwendigkeit von Verschwörungserzählungen für diese Bewegungen offenkundig – wer die Wirklichkeit nicht denken möchte, hat bereits verloren.

In Form und Inhalt ähneln sich diese Erzählungen und führen die Ängste, Vorstellungen, Projektionen und Ersatzobjekte zu einem Denkmuster zusammen, welches maßgeschneiderte Antworten auf alles Unverständliche bereithält. In ihrer diffusen Flucht vor der Realität schaffen sich die deutschen Wutbürger*innen eine Eigen- und Fremdgruppe, die sich diametral entgegenstehen.

Alle Abstufungen und Nebenwidersprüche werden auf dieses Spannungsverhältnis zurückgeführt, jede Form der Selbstkritik wird zur Spaltung erklärt. „Querdenker*innen“, „Pegida“ und Co. können somit selbst dann noch „Verteidiger*innen“ von Frieden, Freiheit und Liebe sein, wenn sie mit Neonazis marschieren oder Reichsflaggen gegen die imaginierte „Corona-Diktatur“ anführen.

Spätestens heute müsste allen klar sein, dass jedwede deutsche Bewegung, die im Zeichen von „Volk“, „Wirtschaft“, oder „Souveränität“ stehen will, dazu verurteilt ist, einen antisemitischen Vernichtungswillen hervorzubringen.

Ob dieser Vernichtungswille nun offen oder verdeckt in Erscheinung tritt, sich gegen „die Medien“, „die Finanzelite“, „die Politik“ oder „die Antifa“ richtet, ändert nichts daran, dass es sich dabei um Antisemitismus handelt.

Es spricht für sich, dass diese Einsicht von der deutschen Öffentlichkeit so lange wie es nur ging geleugnet wurde und selbst jetzt noch lediglich zögerlich anerkannt wird.

Wir mussten beobachten, wie die Schwurbler*innen als „Maßnahmenkritiker*innen“ verharmlost wurden, selbst nachdem auf „Querdenken“-Demos und anderen Veranstaltungen aus dem Lager der Corona-Rechten, Reichsflaggen auftauchten und nach wie vor überall NS-Relativierungen, eindeutige QAnon-Bezüge etc. ins Auge fallen (müssen).

Klasse, Deutschland, du mieses Stück Scheisze!

Radikaler Schwurbel erfordert radikale Maßnahmen

Mit der Verbreitung der QAnon-Erzählung in Deutschland, begünstigt durch „Querdenken“ und die zahllosen verschwörungsideologischen Blogger*innen, YouTuber*innen etc. , gründete sich 2020 eine neue offen antisemitische Strömung innerhalb der Bewegung, die aufgrund ihres fehlenden Bezugs zur Wirklichkeit enorm anschlussfähig ist für jedwede Form der Verschwörungserzählung und so können wahllos, teilweise sich gegenseitig widersprechende, Erzählungen unter ein geschlossenes Weltbild vereint werden.

Ein Weltbild, welches die auszulöschende Fremdgruppe längst konstruiert hat und keinen Hehl daraus macht, dass es sich dabei um Jüd*innen handelt.

Dass die „Querdenken“-Veranstaltungen dementsprechend behandelt werden sollten, ist vielen leider viel zu spät aufgefallen.

Erst nach den ersten überregionalen Großveranstaltungen in Berlin, entwickelte sich ein größeres antifaschistisches Mobilisierungspotenzial.

In den Monaten zuvor, wurde die Bewegung vielerorts ignoriert und/oder klein geredet und antifaschistischer Gegenprotest blieb meist aus.

Inzwischen ist allerdings auch innerhalb der radikalen Linken ein Bewusstsein für die Bedrohung durch „Querdenken“ angekommen und Gegenprotest wird zunehmend mehr.

Wir hoffen, dass sich das in 2021 fortsetzen lässt, denn mit einem plötzlichen Rückzug der Corona-Rechten aus dem braunen Sumpf ist nicht zu rechnen. Möglich, dass die konformistischen Rebell*innen an ihrem allzu deutschen Denkmuster selbst scheitern. Möglich ist aber auch, dass sich hier ein weiteres Kontinuum antisemitischer Agitation durchgesetzt hat, welches – wenn auch nicht in der Stärke wie zur Zeit – bestehen bleiben wird. Jedoch zeigt sich, wie wirkungsvoll antifaschistischer Aktivismus gegen die Verschwörungsgläubigen sein kann und das stimmt uns hoffnungsvoll.

Zu guter Letzt noch einmal ein großer Dank an alle Leute, die nicht müde werden, den Antisemit*innen das Leben schwer zu machen.

Außerdem möchten wir den Gruppen und Bündnissen danken, die Gegenproteste, Kundgebungen, Flyer, Blogs und noch vieles mehr im Kampf gegen die Corona-Rechten in Oldenburg auf die Beine stellen und gestellt haben.

Namentlich der OAT, die Seebrücke Oldenburg, NIKA OL-WHV, die Deutsch-Israelische Gesellschaft, das Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus, das Recherchenetzwerk gegen Esokram, WichtelwatchOL, das Bündnis für solidarische Intervention, Brennglas Corona, Ferne Welten, PixelMatsch, Tantifa, Rechtshilfe Oldenburg, Rote Hilfe Oldenburg und natürlich alle autonomen Aktivist*innen, die regelmäßig den Gegenprotest realisieren.

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